Was ist der Unterschied zwischen Ergotherapie und Physiotherapie?
Diese Frage bekomme ich sehr oft gestellt und ich möchte daher meinen persönlichen Eindruck hier festhalten:
In der Ergotherapie geht es vor allem um die Selbständigkeit im Alltag. Das heißt, wir üben bei Bedarf mit dem Patienten das Anziehen von Kleidungsstücken, geben Tipps und Tricks, wie es leichter gehen könnte (zB eine Sockenanziehhilfe verwenden, den Fuß auf einen Schemel stellen...). Aber auch das Schneiden von Speisen, das Schreiben am Papier oder Computer werden in der Therapie geübt, wenn der Patient sich darin verbessern möchte. Um diese Dinge wieder bestmöglich bewerkstelligen zu können, zeigen wir den Patienten hilfreiche Übungen, um zB den Arm wieder weiter nach oben heben und sich dadurch wieder besser die Haare kämmen zu können. Auch passive Anwendungen werden eingesetzt, um den Arm nach einer Verletzung wieder beweglicher zu machen. Aber nicht nur das körperliche wird in der Ergotherapie trainiert, auch das Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit spielen im Alltag und daher in der Ergotherapie eine wichtige Rolle. Aber auch auf die psychische und soziale Situation wird eingegangen und bei Bedarf Kontakt zu qualifizierten Stellen/Einrichtungen hergestellt (zB zu Überleitungspflege, Psychologen etc.) .
In der Physiotherapie geht es meines Erachtens vor allem um die Verbesserung der Gelenksbeweglichkeit (zB von Knie-, Hüft-, Schultergelenk), um die Steigerung der Muskelkraft/Kraftausdauer/Kondition sowie um die Reduktion von Schmerzen. Der/Die Physiotherapeut/in arbeitet zu Beginn oft manuell mit seinen Händen (Mobilisation, Massagen, Tapen), um in Anschluss mit dem Patienten beispielsweise am Gangbild und an der Gangsicherheit zu arbeiten. Auch hier werden Hilfsmittel erprobt und bei Bedarf verordnet (zB Rollatoren, Unterarmstützkrücken, Einpunktstöcke, Vierpunktstöcke, diverse Orthesen etc.). Fitteren Patienten werden während dem Gehtraining kognitive Aufgaben gestellt (zB Länder mit den Anfangsbuchstaben von A-Z finden):
Soweit, so gut. Aber einen Unterschied kann man hier noch nicht wirklich erkennen, oder ?
Vielleicht kann ich den Unterschied anhand eines Patientenbeispiels erläutern:
Herr K., Pensionist, Diagnose: Morbus Parkinson wurde im Jahr 2016 gestellt, der Patient hat Schwierigkeiten in der Früh aus dem Bett zu kommen, die ersten Schritte sind sehr unsicher, das Aufschneiden einer Semmel bereitet Schwierigkeiten ...
In der Physiotherapie werden die Ziele "Verbesserung der Gangsicherheit und der allgemeinen Beweglichkeit" formuliert.
In der Ergotherapie ist das Ziel "Verbesserung des Besteckhandlings und der Beweglichkeit am Morgen" definiert.
Sowohl in der Physiotherapie als auch in der Ergotherapie werden spezielle Übungen zur Reduktion der steifen Gelenke durchgeführt. Herr K. führt diese Übungen danach selbständig in der Früh vor dem Aufstehen durch. Dies hilft ihm, um wieder leichter aufstehen und im Wohnbereich gehen zu können. In der Physiotherapie wird weiters am Gangbild und am Gleichgewicht gearbeitet.
In der Ergotherapie geht es weiters speziell um die Hilfsmittelerprobung (dickeres Messer), um die Semmeln leichter aufschneiden zu können. Zusätzlich werden dem Patienten spezielle Fingerübungen gezeigt, um die Fingergeschicklichkeit und -koordination zu verbessern. In weiterer Folge wird das Decken des Tisches und damit die Gangsicherheit im Alltag trainiert. Herr K. holt sich die Butter und Marmelade für sein Frühstück aus dem Kühlschrank, ergreift ein Teller aus dem Regal etc. und bringt alles nacheinander zum Tisch. Dort stellt er die Dinge ab, zieht den Sessel nach hinten, um bei Tisch Platz nehmen zu können...
Die Maßnahmen in der Ergo- und Physiotherapie überschneiden sich oftmals in der Praxis und lassen einem den Unterschied oft nur schwer erklären.
Aber vielleicht kann man anhand des Beispiels den kleinen Unterschied erkennen... In der Ergotherapie steht der handlungsorientierte Ansatz im Mittelpunkt, in der Physiotherapie der funktionsorientierte Ansatz.